Sagrada Família- Agile Produktentwicklung im 19. Jahrhundert

Sagrada Familia Barcelona

In diesem Blogbeitrag möchte ich meine Erfahrung teilen, die ich beim Besuch der Sagrada Família gemacht habe. Dabei hat mich Antoni Gaudís Herangehensweise beim Bau der Kirche besonders fasziniert. Ich konnte hier einige Assoziationen zu Prinzipien der agilen Produktentwicklung aufbauen, die ich in diesem Beitrag mit einem Schuss Geschichte darstellen möchte.

Die Sagrada Familía

Die Sagrada Familía ist eine Kirche in Barcelona, die in ihrer Architektur absolut einzigartig ist. Obwohl die Kirche noch nicht fertiggestellt ist, wurde sie 2005 von der Unesco in die Liste der Kulturerbe aufgenommen. Prägend für den Baustil war Gaudí, der im Jahre 1883 den Bau der Kirche als Architekt, bis zu seinem Tod 1926, verantwortete.

Prolog – Mein Besuch der Kirche

Durch einen glücklichen Zufall durfte ich Ende August 2018 an einer Führung durch die Sagrada Familía teilnehmen. Tatsächlich war ich eigentlich in Barcelona, um gemeinsam mit einem damaligen Kollegen Ahmed El Safty an einem Paper zum Thema „From Cloud to Fog – Machbarkeit einer dezentralen IT-Architektur“ zu schreiben. Da wir unsere Arbeit früher als geplant abgeschlossen hatten, nutzen wir die Gelegenheit für eine Fahrradtour durch Barcelona, u. a. auch um die Sagrada Familía zu besuchen. Leider mussten wir bei unserer Ankunft feststellen, dass die Tickets schon ausverkauft waren. Kurz bevor wir zum nächsten Spot fahren wollten, hatten wir Glück und fanden einen Tour-Guide, der noch Plätze auf seiner nächsten Führung hatte.

Ahmed und ich kurz vor unserer Tour

Der Zufall erwies sich für mich letztendlich als Glücksfall. Da ich im Laufe der Führung nicht nur die spannende Geschichte der Kirche und seines Architekten erzählt bekommen habe, sondern auch sehr viele Assoziationen zum Thema „Agile Produktentwicklung“ knüpfen konnte.

Auf diese Assoziationen möchte ich gerne in diesem Beitrag eingehen.

Das Prinzip des iterativen und inkrementellen Bauens

Als der Grundstein für den Bau der Kirche im März 1882 gelegt wurde, war Francisco de Paula del Villar der verantwortliche Architekt. Er plante die Sagrada Familía in einem schlichteren neugotischem Stil bauen zu lassen.

Jedoch überwarf sich del Villar sehr schnell mit dem Finanzier der Kirche ( Josep Maria Bocabella) und gab sein Amt ab. Gaudí übernahm die Verantwortung und verwarf De Villars Pläne.

Gaudí nutzte beim Bau der Kirche einen revolutionären Ansatz und unterschied sich damals von vielen anderen Architekten. Anstatt ausschließlich auf 2D-Zeichnungen zusetzen, entwickelte 3D-Gipsmodelle im Maßstab 1:10 und 1:25, um seine komplexen Konstruktionen immer wieder zu evaluieren und anzupassen. Bis er sicher war, dass die finale Konstruktion auch halten würde.

Nachbauten von unterschiedlichen Iterationen des Innebereiches der Kirche

Dieser Ansatz wird auch noch heute von den verantwortlichen Architekten zum Ausbau der Kirche verwendet. Nur werden die Modelle maschinell mit 3D-Drucker produziert und nicht mehr manuell mit Gips.

Testen von neuen Techniken in kleinen Projekten

Ein Aspekt, der hier besonders hervorzuheben ist, ist die von Gaudí eingesetzte Hängemodell Technik. Er setzte sie ein, um die Tragstruktur der Kirche festzulegen.  Es beruht auf einem einfachen, aber genialen Prinzip: Stellt man alles auf den Kopf, verhalten sich Druckkräfte wie Zugkräfte.

Rekonstruktion Gaudís Hängemodell der Sagrada Familía

Antoni Gaudi verwendete Ketten und Gewichte, um ein inverses Modell für die Sagrada Familía zu schaffen. Die in diesem Modell geformten Kettenbögen stellen die Belastungen nach, denen die tatsächlichen Bögen ausgesetzt sind.

Tatsächlich testete er die Technik zunächst in einer kleineren Kirche, und zwar beim Bau der Colònia Güell. Den Auftrag erhielt er 1898. Damit konnte er Erfahrung mit der Technik sammeln und in einem kleineren Inkrement die Technik erproben bevor er den Ansatz in dem größeren und komplexem Projekt Sagrada Familía umsetzte.

Frühzeitige Auslieferung des Produkts

Obwohl die Sagrada Familía nicht vor 2026 fertiggestellt wird, generiert sie als Touristenattraktion schon seit Jahrzehnten ausreichend Umsatz, um das jährliche Budget für den Weiterbau zu sichern. Jährlich besuchen 4,5 Millionen Touristen und decken damit das jährliche Baubudget von 25 Millionen ab [Link].

Und tatsächlich besuchte der erste Papst, Johannes Paul II., schon 1982 die Kirche, also nach 93-jähriger Bauzeit. Die Kirche hat zu dem Zeitpunkt zwar kein Dach und der Boden war auch nicht gelegt, aber dennoch war der Besuch möglich. Man könnte an dieser Stelle auch vom MVP der Sagrada Familía sprechen.

Die „heilige“ Abnahme erfolgte dann am 7. November 2010 durch Papst Benedikt XVI, der die Kirche offiziell zu einer Basilica Minor ernannte [Link].

An dieser Stelle könnte man den Punkt anbringen, dass bei einer Bauzeit von über 100 Jahren bis zum „1.Release“, man nicht von einer agilen Entwicklung sprechen kann. Jedoch ist es für den Bau einer Kirche diesen Umfangs eine durchaus beachtliche Leistung. Ich als Kölner muss mich an dieser Stelle sowieso zurückhalten, denn der Bau des Kölner Doms hat 632 Jahre gedauert.

Gaudí der agile Visionär

Was mich am meisten an diesem Tag fasziniert hat, war die Tatsache, dass Gaudí es geschafft seine Vision der Kirche bei den Mitarbeitern soweit zu verfestigen, dass auch nach seinem Tod 1926, die Arbeit an der Kirche fortgesetzt werden konnte. Zu dem Zeitpunkt seines Todes war nämlich nur ein Bruchteil der geplanten Kirche fertig.

Hinzu kommt noch das in Folge des spanischen Bürgerkrieges 1936 ein Teil der Kirche als auch viele Modelle und Zeichnungen zerstört wurden.

Dennoch konnten die Arbeiten im Jahre 1939 wieder fortgesetzt werden. Ein entscheidender Grund dafür, war die Tatsache, dass Gaudí größtenteils in der Kirche arbeitete. Dadurch konnte er den Arbeitern immer wieder seine Vision und seine Pläne direkt vermitteln. Das Wissen in der Gruppe wurde somit verteilt und befähigte sie selbständiger im Rahmen der Vision zu agieren.

Das war für mich persönlich der beeindruckendste Aspekt, den ich von meinem Besuch mitgenommen habe und tatsächlich in meine Arbeitswelt einfliessen lasse. Denn obwohl der ursprüngliche Architekt Antoni Gaudí lange verstorben war, hat man das Gefühl, das die nachfolgenden Architekten und Mitarbeiter es geschafft haben Gaudís Vision aufrechtzuerhalten.

Mein Resümee

Wie man diesem Eintrag entnehmen kann, hat mich die Sagrada Familía als Kirche und auch Gaudís Herangehensweise beim Bau der Kirche absolut fasziniert.

Als ich durch die Kirche geschlendert bin, wurde ich auf so viele durchdachte Details hingewiesen worden, die ich auf den ersten Blick gar nicht wahrgenommen habe. Und all diese Details haben sehr gut mit dem Gesamtkonstrukt harmoniert. Es wirkte alles wie aus einem Guss.

Bei dem Besuch der Kirche hat mich jedoch sehr überrascht, dass ich an vielen Stellen einen Bezug zu Prinzipien der agilen Produktentwicklung herstellen konnte. Das hätte ich mir ehrlicherweise vorher nicht vorstellen können.
Und hat mir aufgezeigt, dass die agile Prinzipien grundlegend relevant sind, unabhängig davon, ob ich im 21. Jahrhundert ein Softwareprodukt entwickele oder im 19. Jahrhundert eine Kirche baue.

Bonus

Hier findet ihr noch einige Links zur Vertiefung des jeweiligen Themas:

Hinweis

Ich habe versucht, die Quellen dieses Beitrags bestmöglich zu recherchieren, bin jedoch kein Historiker. Von daher seht es mir nach, wenn sich rausstellen sollte, dass ich mit meinen historischen Angaben nicht zu 100 % richtig liege. Vielen Dank. Feedback diesbezüglich nehme ich natürlich gerne an.

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Kategorisiert in Agile

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